Bluetooth 6.0: Ein erster Blick in die Zukunft
Im Januar 2024 veröffentlichte die Bluetooth SIG still und leise Version 6.0 der Kernspezifikation. Auf dem Papier wirkt der Sprung von 5.4 nur inkrementell, doch die vielen neuen Funktionen stellen die Regeln für Entwickler auf den Kopf, die BLE für „schnell genug“ oder „genau genug“ hielten. Channel Sounding, entscheidungsbasierte Werbung und Frame Space Extension machen das Protokoll vom Komfortkabel zum Präzisionsradar und Stromsparer, der zehn Jahre lang mit einer Knopfzelle betrieben werden kann.

Mikroampere, Megajahre: Die Batterie-Story
Die wichtigste PHY-Änderung ist ein neuer Low-Energy-Codec, der die obligatorische Nutzlast von 1 Mbit/s auf 500 kbit/s reduziert, wenn die Verbindungsbedingungen es zulassen. In Verbindung mit einer Reduzierung der Empfängerempfindlichkeit um 0,5 dB liegt der Leerlaufstrom des Funkgeräts während eines Verbindungsvorgangs nun bei 650 µA – etwa der Hälfte des für BLE 5.3 angegebenen Werts. Für Asset Tracker, die alle zehn Sekunden eine Signalisierung durchführen, entspricht dies einer theoretischen Lebensdauer von CR2032-Batterien von zwölf Jahren statt der üblichen vier.

Channel Sounding: Zentimeter ohne zusätzliches Silizium
Bluetooth 5.1 ermöglichte den Einfallswinkel (Angle of Arrival), 6.0 ergänzt die Round-Trip-Laufzeit (Time of Flight). Durch den Austausch phasenkohärenter Töne über 72 Datenkanäle können zwei Geräte die Entfernung auf ±10 cm genau bestimmen – ohne Antennenarray und ohne UWB-Begleitchip. Die Technik ist in typischen Innenräumen immun gegen Mehrwegeausbreitung, da der Algorithmus Echos mit abweichender Phasenneigung verwirft. Lagerhallen testen die Funktion bereits zur Erkennung von „Paletten vorhanden/Paletten weg“ an Laderampen.

Entscheidungsbasierte Werbung: Intelligentere Beacons
Traditionelle Werbetreibende senden Pakete blind; 6.0-Knoten können die Verbindungsqualität vor der Kommunikation auswerten. Ein Beacon prüft nun RSSI-, PER- und Kanalbelegungsbits während der 80-µs-Präambel. Ist die Lane überfüllt, überspringt er dieses Ereignis einfach und versucht es 100 ms später erneut. Labortests zeigen eine 35-prozentige Reduzierung des kollisionsbedingten Batterieverbrauchs in Bereichen mit Hunderten von Tags.

Frame Space-Erweiterung: Platz für lange Nutzdaten
Version 6 reduziert den engen 150-µs-Inter-Frame-Abstand auf ein konfigurierbares 500-µs-2-ms-Fenster. Der zusätzliche Spielraum ermöglicht 512-Byte-PDUs, ohne die Duty-Cycle-Vorschriften in Europa zu verletzen. Audioanbieter begrüßen die Änderung: Sprache mit höherer Bitrate kann nun über BLE statt über Classic übertragen werden, was den Stromverbrauch von Ohrhörern um 40 % senkt.

Sicherheit neu gedacht: LESC 2.0 und Post-Quantum Seeds
Elliptische-Kurven-Diffie-Hellman bleibt bestehen, doch die Schlüsselgenerierung nutzt nun einen SHA-3-basierten deterministischen Zufallsbitgenerator, der aus physikalisch nicht klonbaren On-Chip-Funktionen stammt. Das Ergebnis ist eine kleinere, schnellere Schlüsselaushandlung, die Side-Channel-Timing-Angriffen widersteht und der Firmware einen Vorsprung bei der Post-Quantum-Kryptomigration verschafft.

Abwärtskompatibilität: Die sanfte Übergabe
Jedes Bluetooth 6.0-Funkgerät wird mit einem „Legacy Personality“-Bit ausgeliefert. Schaltet man es um, verhält sich das Gerät genau wie ein 5.3-Chip und stellt sicher, dass vorhandene Smartphones, Gateways und Milliarden von Sensoren weiterhin ohne Firmware-Probleme gekoppelt werden können. Das Flag gibt Produktmanagern Spielraum, um neue Funktionen schrittweise einzuführen, anstatt in einem riskanten Big-Bang-Update.

Early Adopters: Vom Gabelstapler zum Fußball
Ein großes Logistikunternehmen testet derzeit 6.0-Kanal-Sondierung, um Mehrwegkisten in einer 200 m langen Distributionshalle auf 15 cm genau zu orten. Auf der Verbraucherseite integriert ein Sportballhersteller 6.0-SoCs in spieltaugliche Fußbälle. Schiedsrichter können so zentimetergenau überprüfen, ob der Ball die Torlinie überquert hat – ganz ohne Kamera-Array.

Roadmap und Zertifizierungszeitplan
Siliziumanbieter erwarten Muster im vierten Quartal 2024, die Qualifizierungslabore sollen Anfang 2025 eröffnet werden. Die Endproduktzertifizierungen sollen sechs bis neun Monate später erfolgen, sodass die ersten Geräte Ende 2025 im Handel erhältlich sein werden. Die SIG deutet eine schrittweise Veröffentlichung von 6.1 im Jahr 2026 an, die sich auf Mesh- und LE-Audio-Verbesserungen konzentriert. Aktuell ist jedoch 6.0 der Star.

Fazit: Präzision trifft Langlebigkeit
Bluetooth 6.0 ist nicht nur eine Wiederholung – es definiert neu, was Entwickler von einem Low-Power-Radio erwarten können: Zentimetergenaue Lokalisierung ohne zusätzliche Hardware, jahrzehntelange Batterielebensdauer und Sicherheit, die zukünftigen Bedrohungen vorbeugt. Für Ingenieure, die BLE früher als Kabelersatz betrachteten, bietet die Spezifikation nun Radar, Maßband und Tresor – alles versteckt in einem 3 mm × 3 mm großen Gehäuse.